Neuguss im Dialog –
Anders wirtschaften
Peter Piechotta ist seit über 40 Jahren in unterschiedlichen Rollen in der Neuguss tätig, also beinahe über die gesamte bisherige Biografie dieser Unternehmensgruppe. Er kam Anfang der 1980er Jahre als Produktentwickler zu STOCKMAR und war dann später bis 2013 dort Geschäftsführer, anschließend wechselte er in den Vorstand der Neuguss sowie in den Stiftungsvorstand.
Was verbindet Sie ganz persönlich mit der Neuguss?
Ausgangspunkt für meine Arbeit in der Neuguss war meine Suche nach Gemeinschaftsbildung und Veränderung der Welt. Diese Aufgabe durfte ich jetzt bald 40 Jahre lang bearbeiten und dafür bin ich allen Mitstreiter:innen innerhalb und außerhalb der Neuguss sehr dankbar. Als ich im Alter von 60 Jahren die Geschäftsleitung für Stockmar und Mercurius an meine Nachfolger übergeben hatte, bin ich in ein dreimonatiges Sabbatical gegangen. Leitfragen waren: Ist meine Beziehung zur Neuguss zu Ende? Welche Beziehung habe ich weiterhin zur Neuguss? Während der Arbeit mit diesen Fragen habe ich rückblickend festgestellt, dass meine wechselhafte Beziehung zur Neuguss immer wieder von Menschen geprägt war, die sich mir im richtigen Moment gegenübergestellt haben und mit mir zusammen an meinen Fragen: Wie werde ich gemeinschaftsfähig und wie kann ich für die Welt besser werden, gearbeitet haben. Am Ende meines Sabbaticals bin ich mit Freude zur Neuguss zurückgekehrt - im Bewusstsein, dass für meinen weiteren Berufsweg sowohl die Menschen und die Aufgaben da sind.
Welche Ursprungsimpulse hatte die Neuguss?
Auf der Grundlage der Überlegungen Rudolf Steiners, der den Begriff der Neutralisierung des Kapitals prägte, entstand bei Alfred Rexroth und seiner Frau der Gründungsgedanke der Neuguss. Mit der Neuguss sollte eine Plattform gebildet werden, in der die Fähigkeiten zur Begleitung und Entwicklung von Betrieben, die sich selbst gehören und von Treuhändern in der Eigentümer-Rolle geführt werden, entwickelt werden können.
Ein Arbeitsansatz der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ ist der Versuch Organe der betrieblichen und überbetrieblichen Selbstverwaltung und Zusammenarbeit zu schaffen, in denen MitarbeiterInnen und Management - auf dem Boden der Rechtsgleichheit, bei Wahrung von Verantwortungs- und Kompetenzräumen – zusammenwirken.
Nur wenn Schenkungsprozesse zur Ermöglichung eines freien Kultur- und Geisteslebens in ausreichendem Umfang stattfinden, kann die Wirtschaft mit den für ihr Florieren erforderlichen, zukunftsweisenden Ideen und Fähigkeiten versorgt werden.
Welche Besonderheiten ergeben sich eben daraus in der Art und Weise eines „anderen Wirtschaftens“?
Die Neuguss bewirkt durch die Einbindung der GLS-Treuhand einen Interessenausgleich zwischen den berechtigten sozialen und wirtschaftlichen Forderungen unserer Zeit. Durch aktive Öffentlichkeitsarbeit ist die Neuguss Partner anderer kulturschaffender Unternehmungen und Einrichtungen. Dazu gehören: Schulen, Landwirtschaftliche Betriebe, Heilpädagogische Einrichtungen, Hochschulen, GLS-Treuhand usw.
- Wir fördern „Tanzflächen“ als Begegnungsräume für die Menschen in unseren Unternehmungen und auch mit Menschen aus anderen Organisationen und Kulturen.
- Wir fördern die Entwicklung unserer Arbeits-, Beziehungs- und Erkenntnisgemeinschaft im Betrieb und mit unserer Mitwelt.
- Wir gestalten den sozialen Spielraum zwischen den beiden Polen Macht und Vertrauen durch Vereinbarungen zwischen den beteiligten Menschen.
- Wir ermöglichen eine freie, nicht von wirtschaftlichen Interessen beeinflusste Bildung.
- Wir verstehen Arbeit als Grundbedürfnis des Menschen nach würdevoller und sinnvoller Beschäftigung, das weder bezahlt noch „erkauft“ werden kann. Entlohnung ermöglicht den Lebensunterhalt.
- Wir entwickeln gemeinsam mit den Neuguss-Betrieben, Hochschulen und anderen Einrichtungen kooperative Arbeitsformen und Strategien, die Bildung und unternehmerische Verantwortung für alle mit einschließen und ein gemeinschaftliches Handeln zum Wohle aller fördern sollen.
Was bedeutet in diesem Kontext der Begriff „Ästhetische Unternehmensführung“?
Die Aufgabe eines Unternehmens konzentriert im Wesentlichen auf zwei Tätigkeitsbereiche – stabilisierende und dynamisierende. Zu den stabilisierenden Aufgaben gehören die verschiedenen Bereiche der Betriebswirtschaftsehre wie Pflege des Marktes, Erhaltung des Marktanteils, Überwachung von Produktqualität, Instandhaltung des technischen Produktionsapparats sowie Schulung und Weiterbildung des Personals Die dynamisierende Aufgaben beziehen sich auf die Gestaltung der Zukunft und sind durch den Zukunftsbezug eine wichtige, vielleicht die wichtigste Aufgabe des Unternehmens. Dazu gehört eben auch die Fähigkeit, gesellschaftlich-kulturelle, politische, technische, wirtschaftliche und monetäre Entwicklungen einzubeziehen. Jede Einseitigkeit bei der Entscheidungsbildung ist für das betroffene Unternehmen bzw. die betroffene Organisation (über-)lebensbedrohlich.
Ästhetische Unternehmensführung bzw. -entwicklung ist eine Methode, sich mit der Zukunft auseinander zu setzen, indem man die eigene Situation in das Entwicklungsmodell hineinstellt. Die Entwicklung des Modells während der quantitativen Veränderung bestimmter Faktoren wird hier Gegenstand der Qualitätsentwicklung.
Die inhaltliche Klammer dieses Jubiläumsportals sind Beziehungen. Wie gelingt Beziehung?
Grundlage jeder guten Beziehung sind Wärme, Liebe und Licht. Nur dann ist eine lebendige Beziehung zu mir und meiner Mitwelt möglich. Die Gesundung des Wirtschaftslebens findet dann statt, wenn wir mit den sechs Heilmitteln arbeiten und das Wirtschaftsleben damit verlebendigen. Nur wenn es uns gelingt, im Betrieb permanent an einer Verbesserung unserer Beziehungsfähigkeit zu arbeiten, werden wir die Herausforderungen eines globalen Wirtschaftens menschengemäß lösen können.