Zukunftsstiftung Entwicklung im Dialog –
Brücken bauen
Dr. Annette Massmann ist Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklung der GLS Treuhand. Die Zukunftsstiftung Entwicklung hat sich in gemeinsamer Arbeit mit ihren Projektpartnern eine fundierte Kenntnis über die Ursachen von Armut, Hunger und Not und die zugrundeliegenden naturbedingten und sozioökonomischen Zusammenhänge weltweit erarbeitet. Sie kooperiert mit 77 Projektpartnern in 18 Ländern. Die Schwerpunkte der Förderung liegen in den Bereichen organischer Landbau, Frauen, selbstverwaltete Mikrokredite, Kleingewerbe, Bildung, Gesundheit, regenerative Energien, Menschen- und Umweltrechte.
Die Zukunftsstiftung Entwicklung hat für die Mitarbeitenden der Neuguss in 2019 eine Studienreise nach Kenia organisiert und ihnen damit ein besonderes Geschenk gemacht. Magst Du davon berichten?
Diese zehntätige Studienreise setzte auf das Moment der direkten Begegnung, des Kennenlernens, des Austauschs und direkten Erlebens durch die gemeinsame Arbeit. Mitarbeiter*innen von fünf Unternehmen der Neuguss-Gruppe reisten, begleitet von vier ZSE´lerinnen, zu unserem langjährigen Partner SACDEP. Die Neuguss-Gruppe wurde zehn Tage lang von SACDEP-Mitarbeiter:innen geschult – vormittags theoretisch – nachmittags im praktischen Tun. So fand beispielsweise morgens eine theoretische Einheit zum Thema Wasser und Wasserversorgung in Kenia statt und nachmittags haben wir mit Bäuer*innen einen Wassertank gebaut. Es waren sehr schöne Tage intensivster Auseinandersetzung, die niemanden unberührt ließ. Ich denke, alle Mitreisenden kamen mit einem deutlich erweiterten Horizont nach Deutschland zurück und bewegten die Frage, wie sie sich solidarisch in diese Welt stellen.
Ich habe dieses Angebot gerne an die Unternehmen der Neuguss gerichtet. Die Neuguss, die seit Jahrzehnten gemeinnützige Projekte über die GLS Treuhand in Deutschland fördert, ist ein Modell für soziales Unternehmensengagement. Auch wenn wir als Stiftung nicht direkt von der Neuguss gefördert werden, haben wir aus unserer Verbundenheit mit der GLS Treuhand heraus gerne die Schulungsreise für die Mitarbeiter*innen entwickelt.
Was zeichnet die Arbeit der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung aus?
Wir arbeiten mit 77 Partnerorganisationen in 18 Ländern langfristig zusammen, um in ländlichen und Slumgebieten Menschen zu unterstützen, damit sie sich ein Leben in Würde aufbauen können. Ziel ist dabei immer, die soziale, ökonomisch und ökologische Tragfähigkeit der Initiativen zu erreichen.
Wie kommuniziert man Leid? MitLeid oder MitGestaltung?
Die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind Agent:innen des Wandels. Sie ergreifen die Möglichkeit, in Rückbindung an ihre Gemeinschaften und Gruppen, ihre Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern – sei es durch organischen Landbau, sei es durch den Aufbau von Schulen, Ausbildungszentren, Handwerk und Kleingewerbe oder Basisgesundheitsversorgung.
Welche Rolle spielen Frauen in der Entwicklungsarbeit?
In allen Krisen- und Armutsregionen dieser Welt sind es vor allem die Frauen, die sich bewegen und engagieren. Sie sind vor allem diejenigen, die die harte Reproduktionsarbeit leisten, schleppen Wasser, suchen das Feuerholz, versorgen die Kinder, arbeiten auf den Feldern oder schlecht bezahlt in den Weltmarktfabriken. Sie sind diejenigen, die sich gerne auf den Weg der Veränderung begeben. Auf allen Kontinenten, in allen Kooperationsprojekten sind es mehrheitlich Frauen, die sich engagieren.
In der Pandemiezeit ist viel von Nothilfe die Rede. Wie viel Nothilfe, wieviel Feuerwehr steckt in der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung?
Unser Ansatz ist die kontinuierliche, ganzheitliche Aufbauarbeit im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe. Nun ist im Zuge der Pandemie die wirtschaftliche Lage in allen Partnerländern katastrophal. Nehmen wir Uganda – der informelle Sektor ist über 80% eingebrochen; Schulen sind inzwischen seit 21 Monaten geschlossen. Wir haben jahrelang in die Aus- und Weiterbildung der Lehrer:innen investiert. Wenn sie jetzt während der Schulschließungen kein Gehalt bekommen, würden sie notgedrungen die Schulen verlassen. Deshalb leisten wir Hilfe im Sinne von Kurzarbeiter:innengeld und unterstützen bedürftige Kinder und Familien mit Nothilfe. Generell leisten wir Nothilfe dann, wenn unsere Partner diese strukturiert und zielgerichtet umsetzen können, also garantieren können, dass sie wirklich ankommt. Aber auch dann versuchen wir, aus der Nothilfe in die Aufbauhilfe zu wechseln, sobald das möglich ist. Zum Beispiel, in dem mit Nothilfegeldern Menschen einen Lohn erhalten, um Bewässerungskanäle zu errichten, durch die landwirtschaftliche Flächen ausgeweitet werden können, wodurch perspektivisch die Eigenversorgung der Menschen aufgebaut werden kann.
Vom Anstiften – Wie werden Menschen sozial wirksam?
Ich beziehe die Frage auf die Entwicklungszusammenarbeit. In den Kontexten unserer Arbeit erlebe ich, dass Menschen vor allem dann sozial wirksam werden, wenn sie Ideen haben, wie sie in Rückbindung an ihre Gemeinschaften gemeinsam mit diesen Lebensbedingungen verbessern können; wenn sie – im Erkennen der Problemlagen vor Ort – sich für ihre Veränderungsideen einsetzen – egal, ob Geld da ist oder nicht. Der Schlüssel zur Veränderung ist eben die Gemeinschaftsbildung.
Wie gelingt Beziehungsbildung? Mit und bei den Partner:innen vor Ort, aber auch hier im Netzwerk?
Aus meiner Perspektive gelingt die Beziehungsbildung immer aus der Begegnung, dem Zuhören, der Hinwendung zum anderen, dem Versuch, den anderen, die Problemlagen, die Fähigkeiten, die Ansätze, das Engagement verstehen zu wollen und sich dann dazuzustellen.
„Einfach machen“ – Was wäre Dein nächstes Projekt, wenn Du jegliche Freiheit dazu hättest?
Mein nächstes Projekt ist der weitere Ausbau der nun selbstständigen GLS Zukunftsstiftung Entwicklung mit allen unseren jungen Mitarbeiter:innen. Das nimmt meine ganze Aufmerksamkeit ein. Ein Projekt, für das es ebenso hohe Zeit wäre, wäre ein handwerkliches Ausbildungszentrum für unbegleitete Flüchtlinge hier in Deutschland, um ihnen eine klare Integrationsperspektive bieten zu können.