Ein Reisetagebuch
Von Elisabeth Lechtenbörger, ahu GmbH
“Here in Africa we see Time as a quality you spend with other people.” Paul Karanga, Vice of SACDEP
Die Reise soll neue Lebenskontexte im „globalen Süden“ erschließen, direkte Begegnungen ermöglichen, „so dass man ein Verhältnis zu den Menschen bekommt“ und insbesondere Reflexionen zu den Themenfeldern: Bildung, Aidswaisen, organische Landwirtschaft, Wasser, Spar- und Leihzirkel anregen. Die Themen Organisationskulturen und emanzipatorische Organisationsprozesse, Führungskultur werden durchgängige Themenfelder sein, da sie in allen Projekten der Zukunftsstiftung Entwicklung zentraler Bestandteil sind.
Der SACDEP-Gründer und Chef Mr. Morura selbst begrüßte uns am Yomo Kenyatta Flughafen Nairobi.
SACDEP, gegründet 1993 ist eine Landwirtschaftsschule für Kleinbauern in Kenia, die aus Kostengründen ohne Kunstdünger und ohne Pflanzenschutzmittel (PSM) arbeitet, organic also. Er gab uns einen sehr engagierten, kurzen Überblick der vielfältigen und vielsprachigen Gesellschaft (44 verschiedene Ethnien, ebenso viele Sprachen) und der kenianischen Geschichte seit der Unabhängigkeit von England im Jahr 1963.
Ich habe gelernt, dass im landwirtschaftlich eigentlich so starken Kenia gehungert wird; dass große Teile des Landes in den Händen weniger (ausländischer) Konzerne und kleiner Gruppen sind, die selten nachhaltige Arbeit vergeben. Sie produzieren Luxusprodukte, Kaffee, Tee, Tabak, Ananas und Rosen für den Export, Konsum und Veredelung passieren nicht in Kenia. Kaffee wird als Nescafe reimportiert. Die EU fördert Hybrid-Saatgut, Monsanto = Bayer und Syngenta bedrängen die Farmer, halten Arme arm.
Unser Besuch war intensiv und gut vorbereitet, in drei Jeeps wurden wir durch das Land gefahren, nach einführenden Informationen über Kenia und SACDEP haben wir täglich mindestens zwei Projektpartner bzw. Kooperativen besucht. Die Menschen haben sich über das Interesse gefreut, uns freundlich begrüßt und wir wurden bewirtet.
Small scale farming mit selbst hergestelltem Dünger, Kleinviehhaltung – diese Ideen wurden uns in der Theorie vorgetragen und dann direkt in der praktischen Umsetzung auf einer kleinen Kaffeefarm angewendet. Gärtnern und Kompost waren auch unsere Aufgaben. An Tag 1 in Kenia wurde nachmittags gemeinsam mit Kleinbauern auf einer kleinen Kaffeeparzelle aus Boden, Grünabfällen und Dung Kompost angesetzt und anschließend in Kangari, Kiambu County eine Teefabrik besichtigt. Dass wir so mit angepackt haben, hat die Kenianer begeistert. (Das geplante Pflügen mit einem Zugtier wurde gestrichen, weil ein Kenianer beim letzten Besuch von Europäern in seinen besten Kleidern einspringen musste, um den Ochsenpflug wieder in die Spur zu bringen.)
An Tag 2 fuhren wir in Gatundu durch einen kleinen Teil der Delmonte Ananas Plantagen, viel PSM, viel Wasser, riesige Gebiete mit Hochständen, in denen zur Erntezeit Bewaffnete die Früchte bewachen.
Der Unterschied zum organischen Ananasfeld war dann für uns umso deutlicher zu sehen. Der Anbau im großen Maßstab hinterlässt verwüstete Felder voller Plastikrohre und -folien, er vergiftet das ablaufende Talsperrenwasser, mit dem die Felder bewässert werden und das an den Rändern in die Siedlungen abfließt. Ananas ist eine Einmalpflanze, die Felder liegen nach der Ernte brach bzw. werden dann wieder von Kleinbauern in Besitz genommen, mit den PSM im Boden. Das Entgiften dauert Jahre.
Organic farming – Ananas, die völlig anders angebaut wird und deren Duft aufgeschnitten das ganze Feld füllt.
Bei zwei Massai Group Ranches wurden in den folgenden Tagen mehrere Ferrozement Wassertanks mitgebaut, ein Pumpenhaus wurde eingeweiht, wir haben sehr viele Bäume gepflanzt.
Zur Gruppeninitiative YARD gehören 2017 auch die Kandere Frauen, die die Vormundschaft für Aidswaisen übernehmen, damit die Kinder die Landtitel nicht verlieren. Sie haben uns mit Gesang begrüßt und tanzend auf ihr Land geführt, und auch so wieder verabschiedet. Diese Gruppe hat mich am meisten beeindruckt, neben den Massai am Amboseli.
Bei ihnen (und auch in Schulen, die von YARD betreut werden), haben wir Gemüsespiralen aufgebaut, aus Plastikflaschen vertikale Beete („Greenwalls“) gebaut/bepflanzt. Wir haben in einer Baumschule in Kimani Avocadosetzlinge eingetopft.
Besuch bei zwei Massai Group Ranches, Loitokitok und Oloshonyoki an der Grenze zu Tanzania und bei den noch ursprünglich lebenden Massai am Amboseli. Dort haben wir auch in der von Massai geführten Lodge übernachtet.
Indigene Menschen in der modernen Welt, die ihre Ränder immer weiter ausdehnt, die Gefahr des Untergangs dieser Identität, dass die Kultur der Massai einfach überwältigt wird, ist gerade in Tanzania skandalös zu beobachten. Dort werden Massai für einen geplanten Safaripark unter Duldung der Regierung mit Waffengewalt von ihrem Land vertrieben. Dabei ist die Kultur der Massai emblematisch für Kenia, der Massaischild ist das Wappen auf der Nationalflagge. Massai und Kikuyu haben die stärkste nationale Identität in Kenia, es entstehen immer wieder Konflikte.
Die Steiner School Nairobi war ein besonderes Beispiel für eine Schule in Kenia, nach den anderen Schulen war es ein starker Kontrast. 347 Kinder, 120 im Internat, 80 % durch Patenschaften über die Zukunftsstiftung Entwicklung gefördert. Dadurch hat die Steiner School mehr Ressourcen für die Menschen und die Gebäude. Ein Schulplatz und eine Stelle als Lehrer dort sind sehr begehrt, die Lehrer waren sehr beeindruckende Persönlichkeiten mit rückhaltloser Hingabe an ihre dortige Aufgabe. In Kenia gibt es 44 verschiedenen Ethnien, sie sollen möglichst alle vertreten sein.
Thema Geld: Am letzten Tag Vortrag von Annette Massmann „Was ist Geld“ und Besuch eines Spar- und Leihzirkels – einer sehr starken Gruppe. „Banking without walls“. SACDEP betreut in 14 Distrikten 300 dezentrale Stellen und plant soziale Banken in allen Gemeinden. Die Leih- und Garantiegenossenschaft wird zentral von Emma Watiri Kinani gehütet.
Es sind Mikrofinanzierungsinstitutionen mit der alten Raiffeisenidee. Man kennt sich, man leiht sich Geld „unter dem Baum“ und zahlt es dort auch zurück. Es wird Bargeld, teilweise aber auch M’Pesa verwendet (das sind kleine Geldbeträge im Handy).
Die Gruppe von Regina Menoti trifft sich seit 1997 wöchentlich. Das gemeinsam aus kleinen Raten angesparte Geld wird reihum vergeben, die Investitionsidee wird vor der Gruppe vorgestellt. Wenn jemand eine Kuh kauft, gehen alle mit auf den Markt, damit sie sehen, die Kuh wird tatsächlich gekauft. Das ist ihre Garantie. Die Truhe mit dem Geld hat drei Schlüssel, es gibt Schatzmeister (das Amt ist eine große Ehre) und Sparbücher.
Selbstverwaltete starke Mikrofinanzierungsgruppen ermöglichen in Kenia ein Leben in Würde, weg vom Tagelöhnerdasein in Ausbeutung, Armut und Hunger.
Frau Menoti lädt uns in ihr Wohnzimmer ein, stellt ihre Gruppe vor und erzählt uns ihren weiten Weg. Sie wurde von 1999 bis 2001 durch SACDEP ausgebildet. Der Kreis, den sie mitgegründet hat, ist sehr gewachsen, sie investieren in life stock, small and big, aber auch in Bildung und sie haben eine sehr gute Führungskultur. In ihrem Ort sind als Stämme Kikuyu und Kambe vertreten, sie sprechen beide Sprachen.
2008 sind Frauen aus Moro geflohen. „Es war viel Not.“ „I sat in a pit” sagten die Sekretärin und die Vorsitzende. Sie wurden eine Woche lang bei SACDEP trainiert und hatten dabei ein schlechtes Gewissen, denn dort bekamen sie Essen, ihre Kinder hatten keins.
Beim ersten Besuch von SACDEP in ihrem Dorf hat Frau Menoti sich noch versteckt. Sie arbeitete als Tagelöhnerin auf einer Kaffeeplantage und konnte keinen Tag Einkommen verlieren. Zwei andere Frauen aus ihrem Dorf haben sie aber bestärkt, dem Vertreter von SACDEP zuzuhören. Nach den Trainings haben sie andere Frauen angesprochen und in die Gruppe geholt.
Die Sparraten begannen 1999 bei 20 Cent pro Woche, heute sind es 100. Nach oben ist der Betrag offen. Bisher war der höchste vergebene Kredit 200.000 Keniashilling mit 2 bis 3 Jahren Zeit für die Rückzahlung.
Bei den Banken kosten Kredite 27 % plus versteckte Gebühren, das kann von 30 bis 50 % Zinsen ausmachen, und die Bank gibt keine Zinsen auf Guthaben. Kredite gibt es aber nur gegen Sicherheiten.
Anfangs wurden vor allem schnelle Kredite vergeben, „Gubaco“, rückzahlbar innerhalb eines Monats mit 10 % Zinsen; damit haben sie Kapital angespart.
Jede Frau führt ein Heft mit allen Einnahmen und Ausgaben.
Am Jahresende zahlen sich die Mitglieder eine Dividende aus. Ab sechs Monaten Mitgliedschaft kann ein Mitglied sich Geld leihen, bei Verzug verdoppelt sich die Zinsrate.
Wie wirksam die Selbstverwaltung ist und was sie auf die Beine stellen kann! Das ganze Dorf hat Perspektive und niemand dort muss hungern.
Schlusspunkt war die Eröffnung/ Besichtigung einer neu gebauten offiziellen, von der Regierung anerkannten Landwirtschaftsuniversität von SACDEP.
Fazit:
Anfangs waren beide Seiten sehr unsicher miteinander, wir sind uns aber schon am zweiten Tag offener begegnet. Nancy Wanja Ndiga und ihr Team haben uns warmherzig und gut versorgt und behütet. Auch mit unseren Fahrern hatten wir rasch ein gutes Verhältnis.
Das Programm war kompakt und sehr fordernd. Jede/r wurde individuell wahrgenommen und sollte sich an jedem Ort vor jeder Gruppe kurz vorstellen, fair und offen, lebhaft und alle einbeziehend – passives Zuschauen gab es nicht.
Die Kleinbauern führen ein hartes, karges Leben. Der Frust der Produzenten über die niedrigen Erzeugerpreise ist verständlich.
Erkennbarer Wohlstand beim Ananasfarmer mit den organic pineapple: Auto, Steinhaus.
Die Massai leben mit dem Kilimandscharo als Hintergrund. Bei ihnen zu Gast zu sein, in ihrer schönen Landschaft mit der Roten Erde, war sehr berührend, ihre Spiritualität deutlich zu spüren. Sie sind eine sehr sozial eingestellte Gruppe. Massaikinder, die in die Steiner School aufgenommen werden, halten es oft wegen Heimweh nicht aus und machen sich auf den langen Fußweg nach Hause.
Ganz Kenia ist auf den Beinen, eine große Menge Menschen läuft die Straßen entlang und Autos werden bestaunt. Viele haben zum ersten Mal Europäer gesehen.
Außerdem: Wir haben Regen mitgebracht, gutes Wetter also.